Intersektionalität in "Frauen sollen zurückhaltend und unterwürfig sein."
Ein diskriminierender Gedanke der Schwarze Frauen doppelt trifft. In dieser Intersektionalität ist nämlich nicht nur das veraltete und patriarchatische Bild einer gehorsamen Frau verankert. Es spiegelt auch einen rassistischen Gedanken wieder, der von den "wilden" Anderen erzählt, die erzogen werden müssen und unmenschlich sind. Ein Konstrukt, dass nachträglich Sklaverei und Entmenschlichung rechtfertigen sollte. Und beides Konstrukte gegen die wir uns erheben!
Fight the Power, fight the system – what we need is socialism
Die Auswirkungen der Coronapandemie auf marginalisierte Gruppen Anti-Schwarzer Rassismus in Zeiten von Corona
vonSophiaEdnaundDenilsonB.
Die Soziologin Birgit Rommelspacher war eine der ersten Forscher_innen, die im deutschsprachigen Raum das Phänomen Rassismus und dessen Auswirkungen in der Gesellschaft untersucht hat. Sie beschreibt, wie Rassismus sich durch gesellschaftliche Diskriminierung ausdrückt. Diese lässt sich auf verschiedenen Ebenen verorten. Dazu gehören die strukturelle-institutionelle Ebene, die individuelle, sowie die normativ-diskursive Ebene. Auf all diesen Ebenen, auf denen Rassismus ohnehin wirkt und Menschen mit Privilegien ausstattet, bzw. Menschen Privilegien aufgrund rassistischer Denk-Verhaltensweise und Strukturen abspricht, lassen sich auch Auswirkungen der Covid-19-Pandemie erkennen. Der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) berichtet, dass sich die Lage während der Corona-Pandemie besonders auf der strukturellen Ebene verschärft hat.
Strukturell-institutionellerRassismus
Strukturelle Diskriminierung existiert seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland. Sie manifestiert sich in der Gesetzgebung und im politischen System. Die Folgen jahrzehntelanger rassistischer Diskriminierung, lassen sich nach Rommelspacher in Segregationslinien, zum Beispiel Öffentlichkeit-Privat, kulturell oder ökonomisch, teilen.
Die ökonomische Segregation bezeichnet die Chancen von Black, Indigenous und People of Colour (BIPoC) auf dem Arbeitsmarkt. Diese basieren unter anderem auf dem schulischen Abschluss, der wie die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung "Was uns zusammenhält" (2020) zeigt, angesichts der Ungleichbehandlung im Bildungssystem nicht von Chancengleichheit bestimmt ist. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie lässt sich eine Verschärfung von strukturellem Rassismus wie folgt erklären: Schulunterricht fand während des ersten Lockdowns von März bis Ende Mai 2020 vielerorts online statt. In dem Artikel ,Wie die Corona-Krise Ungleichheit fördert" (vorwärts, 23.07.2020) berichtet Bettina Kohlrau, dass dies viele Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status, worunter besonders BIPoC-Familien fallen, vor ein Problem stellte, denn sie hatten meist nicht für alle ihre Kinder einen Computer. Das führte wiederum dazu, dass die Kinder am Unterricht nur unter erschwerten Bedingungen teilnehmen konnten und somit die Bildungsungleichheit weiter anwuchs. Ein weiterer Faktor für die Verschärfung, während der Coronakrise ist das Arbeitsverhältnis vieler BI-PoC. Ein großer Anteil von ihnen arbeitet aufgrund von rassistischen Strukturen im Niedriglohnsektor. Sie sind nicht selten die ersten, denen gekündigt wird. Das sind nur zwei von vielen Beispielen, die zeigen, welches Ausmaß Anti-Schwarzer Rassismus in der Gesellschaft hat.
Normativ-diskursiverRassismus
Die normativ-diskursive Ebene beschreibt rassistische Stereotype und Zuschreibungen, die weit verbreitet sind. Sie finden sich in medialer Berichterstattung, (Kinder-)Büchern, Filmen, Serien und Musik wieder. Sie formen ein rassistisches Wissen, dass von großen Teilen der Gesellschaft übernommen und reproduziert wird. (Re-)Produktion rassistischer Zuschreibungen und Ressentiments kann sowohl bewusst als auch unbewusst passieren und muss stets aktiv hinterfragt werden.
Seit 2015 werden rassistische Stereotype, Beleidigungen und menschenverachtende Parolen immer offener geäußert. Die Bundesregierung reagierte mit erneuten einschneidenden Verschärfungen des Rechts auf Asyl bei gleichzeitiger massiver Zunahme rassistischer Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte.
Rechter Terror wie in Kassel, Halle und Hanau wird flankiert von einer Zunahme rassistischer und menschenverachtender Einstellungen bei großen Teilen der Gesellschaft. Gleichzeitig sehen wir, wie zum ersten Mal die Lebensrealitäten vieler BIPoC medial sichtbar gemacht werden: Eine Vielzahl von Berichten, Talkshows etc. liefen auf Öffentlich-rechtlichen Sendern und machten auf die Thematik aufmerksam. Leider wurden viel zu selten Menschen mit Rassismuserfahrung eingebunden. Dennoch sind diese Entwicklungen zu begrüßen. Jedoch darf man nicht den Glauben verfallen, dass diese Lebensrealitäten erst seit gestern bestünden. Sie wurden bis dato einfach ignoriert oder als Einzelfälle abgestempelt.
Während der Covid-19 Krise werden erneut alte rassistische Ressentiments hervorgebracht und mit der Pandemie verknüpft. Immigrant_innen, Menschen mit Migrationsgeschichte, geflüchtete Menschen, Menschen, die einer marginalisierten, diskriminierten Gruppe angehören, wird vorgeworfen, dass sie dieses Virus mit eingeschleppt haben sollen, womöglich, um die weiß-europäische Ethnie' zu dezimieren. Das sind Erzählungen, die mancherorts, nicht mehr ganz so leise, hinter nicht mehr ganz so vorgehaltener Hand, ausgebrütet werden - und übrigens nicht neu sind.
Sprache wird zu Realität, weil Sprache Denken formt: Abstrusität wird vermischt mit offensichtlichem Rassismus, gipfelt in menschenverachten - den Demonstrationen und Kundgebungen, die vordergründig gegen die Maßnahmen zur Einschränkung der Covid-19 Pandemie protestieren. Diese werden von extrem Rechten Gruppierungen und Demokratiegegner_innen schamlos als Plattform für ihre menschenverachtende Ideologie genutzt. Vermehrte Übergriffe und Angriffe auf Menschen, die scheinbar nicht in das weiß-euro-zentristische Weltbild mancher Menschen zu passen scheinen, sind logische Folgen von Ideologien der Ungleichwertigkeit.
Rassismus auf der individuellen Ebene
Individuen handeln bewusst oder unbewusst rassistisch. Rassismus auf der individuellen Ebene findet in der Interaktion zwischen einzelnen Menschen statt. Dies kann sich in ungleicher Behandlung, Beleidigungen oder ,Witzen" äußern. Ebenfalls wverden darunter auch gewalttätige Übergriffe gefasst.
Zahlen können eine klare Sprache sprechen, sie schönen nicht und verschleiern nicht. Sie geben uns eine möglichst objektive Auskunft. Die Zahl der Straftaten im Themenfeld ,,Hasskriminalität" ist in den letzten Jahren gestiegen. 2019 wurden rund 8500 rassistische Übergriffe gemeldet. Es handelt sich dabei bei weiten nicht um alle Straftaten. Zum einen werden nicht alle rassistischen Übergriffe in das Themenfeld einsortiert, zum anderen zeigen viele Betroffen Angriffe nicht an, weil sie befürchten von der Polizei nicht ernst genommen zu werden.
Die Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) sprechen eine ähnliche Sprache. Betrachtet man nun die Zahlen der Übergriffe, die als rassistisch und menschenfeindlich eingestuft werden (von einer höheren Dunkelziffer kann ausgegangen werden), sieht man eine deutliche Steigerung: Laut den zahlen der ADS, steigen die Zahlen der Beratungsanfragen seit 2015 (545 Anfragen) durchgehend an (Stand 2019: 1.176 Anfragen). Auch die Beschwerden über rassistische Hatespeech und Beschimpfungen im öffentlichen Raum und Internet sind 2019 auf 3.580 (+4%) gemeldete Fälle angestiegen.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtet außerdem davon, dass sie seit Beginn der Corona-Krise rund 1.500 Beratungsanfragen (Stand 27.11.2020) ausschließlich zu Diskriminierungserfahrungen im Zusammenhang mit der Covid19-Pandemie erhalten hat. Die Fälle reichen von rassistischen Verhalten bis hin zu gewalttätigen kÖrperlichen Übergriffen.
So wichtig diese Zahlen sind, sind doch unterschiedliche Gruppen von unterschiedlichen Rassismen betroffen, auch wenn es Überschneidungen gibt. Da in Deutschland jedoch, wenn überhaupt, alle rassistische Übergriffe und Erfahrungen unter dem großen Überpunkt ,Rassismus" gesammelt werden, lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt keine genauen Angaben zu antischwarzen Rassismus treffen. Dies ist jedoch wichtig, um ein klares Bild zu erhalten, denn Rassismus äußert sich in verschiedenen Formen, das heißt jede ethnische Gruppierung macht andere Rassismuserfahrungen. Der Verein Each One Teach One (EOT0) hat gemeinsam mit Citizens for Europe, Vielfalt entscheidet und gefördert durch die ADS, die erste großangelegte Statistik und Dokumentation zur Lebensrealität von Menschen der Afrikanischen Diaspora üiberhaupt, den Afrozensus, durchgeführt. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Textes war der Zensus noch nicht ausgewertet.
Erfahrungen teilen
Bewegt mensch sich in sozialen Medien, ist es möglich sich ein Bild von Anti-Schwarzen/Anti-Blackness-Rassismus in Deutschland zu macheSchwarze Deutsche, die immer wieder davon berichten, dass sie mal mehr mal weniger subtil bei der Wohnungssuche und Jobsuche abgelehnt werden, rassistische Erfahrungen im Berufsalltag machen (Situationen bei Unternehmen wie jdsports, Rossmann und true fruits), physische und verbale Ubergrife in der Öffentlichkeit erleiden, Racial Profiling' durch Behörden und rassistische Behandlung in Bildungseinrichtungen und am Arbeitsplatz erleben - die Liste ist lang. Betrachtet man also Social Media Posts und Berichte, die rassistischen Bergriffe und Erlebnisse dokumentieren, gepaart mit den oben genannten Zahlen, entsteht ein eindeutiges Bild und lässt nur einen Schluss zu: Der Anti-Schwarze Rassismus steigt in Deutschland an. Hinzu kommen die aufgeladenen politischen Debatten der letzten Jahre, die ihren Teil dazu beitragen.
Widerständige Positionen
Unterdessen steigt der Widerstand in der Bevölkerung gegen Rassismus. Viele Menschen, die sich aufgrund ihrer Privilegien nie mit den Lebensrealitäten Schwarzer Menschen auseinandersetzen mussten, haben sich unter anderem durch die Black-Lives-Matter-Bewegung und der vielen antirassistischen Initiativen in den letzten Monaten mit der Thematik auseinandergesetzt. Ein Resultat hiervon sind viele Solidaritätsbekundungen, wie die des aktuellen deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (Tagesspiegel, 16.06.2020) - angelehnt an das bekannte Zitat der Schwarzen Bürger_innenrechtlerin Angela Davis "In a racist society it is not enough to be non-racist. We must be anti-racist" - ,Es reicht nicht aus, ,kein Rassist' zu sein. Wir müssen Antirassisten sein!". So appellierte er an Zivilgesellschaft und Politik, anti-rassistische Strukturen zu etablieren und Anti-Rassismus aktiv zu erlernen und zu leben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gesellschaftliche Diskurse offener für rassistische und extrem rechte Positionen geworden sind. Extreme Rechte marschieren mit Menschen aus der sogenannten ,politischen Mitte" zusammen und verbreiten ihre menschenverachtende Ideologie. Dies führt zu einem Klima, das besonders BIPoC in ihrem Alltag zu spüren bekommen. Gleichzeitig wächst der Widerstand gegen Rassismus. Er wird immer mehr als ein gesellschaftliches Problem anerkannt, dem keine_r sich mehr entziehen kann.
Gerade bei strukturellem Rassismus ist die Politik jetzt gefragt, zu Handeln und auf ihre Solidaritätsbekundungen Taten folgen zu lassen.
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GLOSSAR
,.weiß" und ,Schwarz" - meint hier nicht die tatsächliche Färbung der Haut, sondern ein politisches Konstrukt, dass Menschen unterschiedliche Zugänge (zu machtvollen Strukturen) und Ressourcen ermöglicht bzw. verweigert.
Racial Profiling - Der Begriff Racial Profiling kommt aus den USA und bezeichnet Maßnahmen der Polizei und andere Sicherheitsbehörden, wie zum Beispiel Identitätskontrolle, Verhaftungen, etc., die nicht auf Grundlage eines Verdachts gegen eine Person stattfinden, sondern aufgrund von ußeren" Merkmalen, wie vermutete Herkunft oder Religionszugehörigkeit.
